Für Sammler geht nichts über das Original – aber die sind meist teuer. Mit Vinyl-Reissues lässt sich eine Menge Geld sparen. Vorausgesetzt, die Neuauflage klingt genauso gut, wie das Original.

Es muss ja nicht gleich besser klingen, als das Original. Wir sind schließlich bescheiden. Doch die traurige Realität ist leider: Viele Vinyl-Reissues klingen sogar deutlich schlechter als frühere Varianten. Aber wenigstens gleich guter Klang wie beim Original wäre schon schön. Da können wir helfen. Beim Blick ins uebervinyl-Archiv haben wir einige Vinyl-Kandidaten gefunden, die es klanglich mit Pressungen aus früheren Generationen aufnehmen können.
1. Automatic For The People – R.E.M, Craft Recordings 2017


Über die US-Erstpressung von Automatic For The People herrscht auf Discogs die Meinung vor, dass es sich um eine außergewöhnlich gut klingende Fassung handelt. Dem kann ich mich nur anschließen. Im Vergleich zur CD mach die Vinyl-Ausgabe klanglich einen großen Schritt nach vorne. Insgesamt eine Spur wärmer, Gitarren und Streicher klingen seidiger. Wo Druck gefragt ist, macht die Band Druck. Wo Zurückhaltung geboten ist, dito.
Und die Wiederveröffentlichung von Craft Recordings? Ich habe alles versucht: Laut, leise. Unterm Kopfhörer und vor dem Lautsprecher. Und doch konnte ich kaum einen Unterschied feststellen. Das Reissue steht dem Original klanglich in nichts nach. Unterschiede gibt es nur in Nuancen. So wünscht man sich Reissues.
Originale von Automatic For The People aus den 90er Jahren kosten aktuell ab ca. 150 US-Dollar aufwärts. Umso besser für R.E.M.-Fans mit kleinem Geldbeutel, dass es die Wiederveröffentlichung (noch) für kleines Geld gibt.
Den ausführlichen Bericht zu Automatic For The People gibt es hier
2. Drums And Wires – XTC, Ape House Records 2020


Die deutsche Erstpressung besteht aus einer einfachen Hülle und einer Platte auf 130g schwerem Vinyl – das war‘s auch schon. Dem Reissue liegt zusätzlich die 7“ Single mit den Titeln Chain Of Command und Limelight bei und das eigentliche Album bringt hier stolze 200g auf die Waage. Am Vinyl wurde also nicht gespart.
“Newly Cut From Masters Approved by Andy Partridge”, steht auf dem Hype-Sticker der Wiederveröffentlichung. XTC-Mastermind Andy Partridge hat also die Masterbänder (oder Files) persönlich abgesegnet, von denen der Lackschnitt gefertigt wurde.
Und das Wichtigste vorab: Unterm Strich klingen beide Pressungen ziemlich gut.
XTC-Songs sind oftmals harmonisch nicht sehr kompliziert geschrieben, aber die Arrangements haben es in sich. Der Sound der deutschen Pressung gibt dies angemessen transparent und dennoch druckvoll wieder. Jedes Instrument lässt sich gut aus dem Mix heraushören. Auf der Stereobühne wurden die Player fein säuberlich getrennt verteilt. Bei Making Plans For Nigel treibt das Schlagzeug stur die Mitspieler vor sich her. Beide Gitarren sind klar voneinander zu unterscheiden. Die beiden Pressungen klingen hier beinahe identisch.
Ganz ähnlich etwa auf Scissor Man oder When You’re Near Me I Have Difficulty: Der pumpende Bass, das treibende Schlagzeug, die scheppernden Gitarren – alles da, wo es sein soll. Alles bestens. Aber eben bei beiden Pressungen gleich.
Das Original war schon sehr gut, die Neuauflage ist zwar nicht besser – aber auch nicht schlechter.
Den ausführlichen Bericht zu Drums And Wires gibt es hier.
3. Live! – Bob Marley And The Wailers, Abbey Road Remaster


Live! Ist das Dokument eines außergewöhnlichen Konzertes, einer gut eingespielten Band auf der Höhe ihrer Kunst. Die Atmosphäre im Konzertsaal ist wunderbar eingefangen. Für mich unter den besten Livealben aller Zeiten. Nicht zuletzt deshalb, weil auch schon die frühen Pressungen aus dem Erscheinungsjahr richtig gut klangen.
Miles Showell, der Spezialist der Abbey Road Studios, übernahm das audiophile Remastering im Half Speed Mastering Verfahren. Die Neuauflage aus der Abbey Road klingt jetzt minimal anders als die frühe Pressung von Island. Ob eine der beiden besser oder schlechter klingt, ist Geschmackssache. Und vor allem unterscheidet sich jedes Stück ein wenig vom anderen. Showell korrigierte sehr vorsichtig. Warum auch nicht? Das Original klang bekanntlich auch schon sehr gut.
Den ausführlichen Bericht zu Live! von Bob Marley And The Wailers gibt es hier
4. The Köln Concert – Keith Jarrett, ECM 2010


Das Münchener Label ECM ist berühmt für seine exzellent aufgenommenen und perfekt klingenden Veröffentlichungen. Das Köln Concert macht hier keine Ausnahme. Attack, Klangfarben, Dynamik und Jarretts Summen – alles da. Das Publikum – wie immer bei Jarretts Konzerten mucksmäuschenstill – ist zwar kaum zu hören, eher immer im Hintergrund zu spüren. Der Zuhörer wird mitgenommen in die Kölner Oper.
Für das Reissue kann es eigentlich nur ein Ziel geben: Genauso gut wie das Original. Das klappt prima. Zwischen beiden Versionen ist in audiophiler Hinsicht kaum ein Unterschied zu hören.
Den ausführlichen Bericht zu The Köln Concert gibt es hier
5. Sheik Yerbouti – Frank Zappa, Zappa Records 2015


Die Neuauflage aus dem Jahr 2015 hält sich streng an die Vorlage. Den Lackschnitt übernahm Chris Bellman für Bernie Grundman Mastering. Also ein echter Könner, der neben vielen anderen Klassikern auch schon die Tom Petty-Reissues Southern Accents und Wildflowers geschnitten hat.
Und wie klingt das? In einem Wort: fantastisch! Die Erstpressung überzeugt mit allem, was man sich von einer gut aufgenommenen und gemasterten Rockplatte wünscht. Jedes Instrument ist deutlich zu hören, auch in komplexen Arrangements verliert der Mix nie den Überblick. Es gibt Druck, da wo Druck vonnöten ist. Es wird leise, wo es angebracht ist. Die Breite der Stereobühne wird ausgenutzt, um jeden Musiker der sechsköpfigen Band an seinem festen Ort zu platzieren. Die Tiefenstaffelung könnte etwas üppiger ausfallen. Aber das ist schon Jammern auf allerhöchstem Niveau. Soweit die 1979er Sheik Yerbouti.
Und die 2015er? Ganz genauso. Alles, was für die 79er gilt, gilt auch für die Neuauflage.
Hier gibt es kein besser oder schlechter. Beide Versionen sind ein Fest für die Ohren, wie man es bei Rockplatten nur selten erlebt. Frank Zappa, der alte Tüftler und Perfektionist, hatte mit dem Mastertape bereits eine astreine Vorlage geliefert. Chris Bellman war klug genug, ein hervorragendes Mastertape weitgehend unverändert zu übernehmen.
Den ausführlichen Bericht zu Sheil Yerbouti gibt es hier
6. Roxy & Elsewhere – Zappa/Mothers, Zappa Records 2015


Und gleich nochmal Zappa! Wir verglichen eine frühe Pressung aus dem Jahr 1974 mit einer nagelneuen Wiederveröffentlichung aus dem Jahr 2013. Das Remastering übernahm erneut Chris Bellman direkt vom originalen ¼-Zoll analogen Stereo-Master.
Man muss schon ganz genau hinhören, um überhaupt Unterschiede auszumachen. Die komplexen Arrangements bleiben wirklich erstaunlich gut durchhörbar. Ruth Underwoods rasend schnelle Xylophon-Läufe in Cheepnis sind ebenso klar vernehmlich wie die parallel gespielten Gitarrenakkorde. Im Hintergrund werkeln zeitgleich zwei Schlagzeuger und Napoleon Murphy Brock singt sich die Seele aus dem Leib. Alles gleichzeitig. Alles bis in die Details heraushörbar. Und zwar auf beiden Pressungen. Wow!
Für beide Versionen gilt, dass sowohl die Dynamik, die Definition der einzelnen Instrumente als auch die Stereobühne in Breite und Tiefe schlichtweg mustergültig aufbereitet wurden. Beide Pressungen von Roxy & Elsewhere klingen also herausragend gut. Warum klingen eigentlich nicht viel mehr Platten so gut?
Den ausführlichen Bericht zu Roxy & Elsewhere gibt es hier
7. Regatta De Blanc – The Police, Abbey Road Remaster 2018


Zugegeben, zum Duell trat hier keine echte Erstpressung an, sondern eine Special-Price-Ausgabe aus den 80er-Jahren. Aber die klang schon so gut, dass die aktuelle Wiederveröffentlichung aus den Abbey Road Studios sich gewaltig anstrengen musste, damit sie nicht den Anschluss verliert. Dass es dennoch gelang, liegt am Half Speed Mastering, das sehr highfideles Remastering erlaubt.
Die Unterschiede zwischen den beiden Pressungen von Regatta de Blanc waren am Ende nicht sehr groß. Erfreulicherweise lassen beide Varianten genügend Raum für Dynamik. Klanglich geriet die Special Price minimal heller und höhenbetonter. Die Abbey Road ist aber keineswegs dumpf abgemischt. Die Differenzen fielen uns ehrlicherweise nur im direkten Vergleich auf. Separat gehört, klingen beide Versionen astrein.
Den ausführlichen Bericht zu Regatta De Blanc gibt es hier
8. Making Movies – Dire Straits, Back To Black 2019


Die Reissues aus der Back to Black Serie sind nicht immer ein Garant für tolle Klangqualität. Doch im Falle von Making Movies gibt es keine Beschwerden: Im Hörtest kam die (billige) Back To Black klanglich sehr nahe an die Edel-Ausgabe von Mobile Fidelity Sound Lab heran. Die Produktion von Jimmy Iovine bietet so gutes Ausgangsmaterial, was Dynamik, Bühne, Staffelung und Klangfarben angeht, dass Chris Bellman für die Back To Black und Krieg Wunderlich für MoFi beim Schneiden ihrer Matritzen nur etwas per Equalizer kolorieren mussten.
Die BtB läuft mit 33 RPM pro Minute und wurde laut Hype Sticker von den originalen „analogen und digitalen Masters“ geschnitten. Das kann gut sein. Denn das Ergebnis stellt auch audiophile Hörer zufrieden.
Dynamik, Stereobühne und Staffelung überzeugen. Dies ist eine der bestklingenden Produktionen der frühen 80er Jahre, die für die Back to Black-Version mit viel Gefühl und Augenmaß in die Neuzeit transferiert wurde. Ein echtes Schnäppchen.
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