Nicht alle Vinyl-Reissues klingen gleich. Und schon gar nicht gleich gut. Wir haben zeigen eine Auswahl von LPs, klanglich wirklich nicht an die Originale herankommen.

Es ist ein Kreuz mit diesen Vinyl-Reissues. Manche klingen richtig gut, manche sogar besser als die Originale. Aber leider gibt es auch eine ganze Reihe von Wiederveröffentlichungen, die es nicht mit den Originalen aufnehmen können. Und zwar aus den unterschiedlichsten Gründen. Wir haben einige dieser Low-Performer zusammengestellt.
1. Blonde On Blonde – Bob Dylan, Columbia Legacy


In den 60er Jahren musste man beim Mastern von Schallplatten davon ausgehen, dass sie in auf lausigen Plattenspielern mit noch lausigeren Verstärkern und Lautsprechern wiedergegeben werden. Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass die Legacy auf meinem ersten Dual-Kofferplattenspieler eine gute Figur gemacht hätte. Auf meinem aktuellen, viel besseren System klingt sie schlicht grausig.
Das liegt hauptsächlich daran, dass die Legacy (wahrscheinlich für eine CD-Veröffentlichung) extra laut gemastert wurde. Für die Seite 1 haben wir mit -12,4 LUFS integrated (Loudness Units relative to Full Scale) einen der höchsten Loudness-Werte überhaupt gemessen. Zur Einordnung: Wer bei Apple Music Musik mit höheren Lautheitswerten als -16 LUFS einstellt, wird automatisch leiser abgespielt. Die Legacy liegt also um stolze 3,6 dB (entspricht LUFS) über diesem Grenzwert. Das schaffen sonst nur aktuelle Charts-Hits oder eben wirklich schlechte Remasters, so wie diese Veröffentlichung.
Und das hört man auch. Auf der Legacy klingt jedes Instrument gleich – nämlich laut. Ob es die Mundharmonika ist, die aufdringlich an den Nerven sägt, oder die Gitarre, die mit dem Gesang um Aufmerksamkeit wetteifert. Für Zwischentöne bleibt da kein Platz mehr. So macht dieses wunderbare Album leider keinen Spaß.
Den ausführlichen Bericht zu Blonde On Blonde gibt es hier
2. Peter Gabriel (ein deutsches Album) – Peter Gabriel (aka Melt, aka III) 45 RPM


Das dritte Album von Peter Gabriel gibt es nicht nur auf deutsch und englisch, sondern auch als Doppelalbum mit 45 RPM. Und diese deutsche Variante des 45er-Doppelalbums kann mich nicht überzeugen.
Die analogen Aufnahmen wurden für die Wiederveröffentlichung digital per Half Speed Mastering remastert. Im besten Fall klingt so etwas anschließend richtig gut. Hier wurde diese Chance auf ein besonders gut klingendes Album mit Bravour versemmelt.
Denn obwohl 45RPM-Schallplatten einen größeren Dynamikumfang wiedergeben können, wurde hier einfach alles lauter gemacht. Langsam anschwellende Lautstärken werden einfach per Kompressor nivelliert.
Mit Loudness-Werten bis zu -11,5 LUFS (Loudness Units relative to Full Scale) zählt das Album zu den lautesten, die wir jemals gemessen haben. Lauter sogar als die oben erwähnte Blonde On Blonde von Bob Dylan. Die Unterschiede zwischen laut und leise verschwinden bei Peter Gabriel komplett, Feinheiten gehen verloren. Im Autoradio ergibt so etwas Sinn. Aber nicht auf Vinyl mit einem anständigen System.
Den ausführlichen Bericht zu Peter Gabriel III gibt es hier.
3. Beggars Banquet – The Rolling Stones, Japan 1988


Japanische Pressungen genießen einen guten Ruf wegen ihrer hervorragenden Pressqualität und der meist großzügigen Aussttatung mit Textblatt und antistatischen Innenhüllen.
Aber klanglich haben manche Sammler Vorbehalte: Kein Bass, zu viele Mitten und Höhen. Und hier trifft dieses Vorurteil leider voll und ganz zu.
Darüber hinaus läuft die Japanpressung ein paar Prozent langsamer als andere Pressungen. Beim Lackschnitt ließen viele Produzenten und Toningenieure das Band gerne etwas schneller ablaufen, um denn Aufnahmen etwas mehr Pep zu verpassen. Gut möglich, dass das bevorzugte Tempo beim Mastern vom Produzenten Jimmy Miller vorgegeben und notiert wurde. Sei’s drum. Der japanische Schneidemeister hat den Pitch-Regler jedenfalls nicht angefasst.
Erschwerend kommt die völlige Abwesenheit von Dynamik hinzu. Wahrscheinlich liegt dieser Japanpressung von 1988 ein frühes CD-Masterfile zugrunde, bei dem die Tonmeister vor allem maximale Lautheit erzielen wollten. Im Autoradio setzt sich die Musik so besser gegen die Umgebungsgeräusche durch.
Aber so wie hier macht das keinen Spaß. Die Seite 1 weist mit -11,4 LUFS intergrated den höchsten jemals bei uebervinyl.de gemesssenen Loudness-Wert auf. Herzlichen Glückwunsch!
Den ausführlichen Bericht zu Beggar’s Banquet gibt es hier
4. Sticky Fingers – The Rolling Stones, Abbey Road Remaster 2020


Schon wieder reihen sich die Rolling Stones bei den mäßig klingenden Reissues ein, wenn auch aus anderen Gründen als bei Beggars Banquet.
Die Platte wurde in den Abbey Road Studios im Half Speed Mastering-Verfahren vom Experten Miles Showell neu geschnitten. Leider wurde beim Cover auf den echten Reißverschluss verzichtet, der bei vielen früheren Versionen Standard war, dafür kann Showell aber nichts.
Auch klanglich kann die Neuauflage nicht mit unserer Vergleichsplatte aus dem Jahr 1973er mithalten. Die 2020er Neuauflage versucht sich an HiFi-Schönklang, wo im Original scheppernderRock’n’Roll-Sound angesagt war. In diesem Fall gibt es damit nichts zu gewinnen. In Sachen Dynamik und Lautheit bestehen keine gravierenden Unterschiede zu früheren Fassungen. Doch die Neufassung klingt leider steril und leblos.
Den ausführlichen Bericht zu Sticky Fingers gibt es hier.
5. Goats Head Soup – The Rolling Stones, 2020 Remix


Und Rolling Stones, die Dritte! Für Goats Head Soup haben sich die Stones an einem Remix versucht. Aber auch das ging leider schief. Für die Neuauflage aus dem Jahr 2020 saß Giles Martin, der Sohn des Beatles-Produzenten George Martin, an den Reglern. Die Neuabmischung basiert auf hochauflösenden digitalen DSD-Files und entstand in den Abbey Road Studios. Sie wurde dortselbst auch im Half-Speed Mastering-Verfahren gemastert.
Aber dasselbe Team, das die teilweise hervorragenden Beatles-Remixe wie Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band erstellte, kann hier leider nicht an die Ergebnisse für die Fab Four anknüpfen.
Die Neuauflage bietet zwar den besseren Hifi-Klang. Hier bekommt der Hörer mehr Bass, eine breitere Stereobühne und eine deutlich erweiterte Breiten- und Tiefenstaffelung. Allerdings wurde bei der Neuabmischung für unseren Geschmack viel zu viel Limiter und Kompressor eingesetzt. Viele dynamische Passagen, die in der 1973er-Fassung noch deutlich abgebildet wurden, verschwinden hier leider zu Gunsten eines einheitlichen Pegels. Deshalb will der Funke auch nicht so richtig auf den Hörer überspringen. Möglicherweise wurde die Neuauflage für CD- oder Streaming modernisiert und deshalb auf gleichmäßige Lautheit optimiert. Aus audiophiler Sicht ging das jedoch nach hinten los.
Den ausführlichen Bericht zu Goats Head Soup gibt es hier
6. John Lennon Plastic Ono Band, Ultimate Mix 2021


Auch bei Ex-Beatles gehen Remixe manchmal in die Hose. John Lennons Soloalbum Plastic Ono Band zählt musikalisch zum Besten, was er je gemacht hat. Doch den Remix aus dem Jahr 2021 hätte es wirklich nicht gebraucht.
Für die Neuauflage aus dem Jahr 2021 wurden die originalen Mehrspuraufnahmen neu abgemischt. Paul Hicks übernahm diese Aufgabe in den Abbey Road Studios und den Hix Factory Studios.
Während viele Puristen Neuabmischungen generell ablehnen, bin ich Remixen gegenüber im Prinzip offen. Vor allem, wenn sie ein echtes Klangproblem lösen. Für die Neuabmischung von John Lennon / Plastic Ono Band gab John Lennons Witwe Yoko Ono aber offenbar die Anweisung, dass der Gesang von John Lennon klarer hörbar werden sollte. Nun ja, im Original war er mir nie zu leise. Im Remix klingen einige Songs jetzt eher etwas zu dumpf, die Hihat von Ringos Schlagzeug verschwindet fast vollständig, nur der Gesang ist minimal lauter als zuvor. In anderen Songs wurde am Equalizer geschraubt, um John Lennons Stimme etwas gefälliger klingen zu lassen. Braucht es das wirklich? Im Mix wurden zusätzlich alle Ecken und Kanten entfernt, die den Hörer im Original direkt aus dem Boxen anspringen. Gefälliger mag das schon sein. Doch intensiver bleibt das Original.
Den ausführlichen Bericht zu John Lennon Plastic Ono Band gibt es hier
7. Portrait In Jazz – Bill Evans Trio, Waxtime Records


Das spanische Label Waxtime hat bei Sammlern keinen guten Ruf. Audiophile werfen dem Label vor, für seine Vinyl-Reissues CDs als Master für die Pressung zu nehmen. Der Aufwand auf der Seite von Waxtime bei der Herstellung ist jedenfalls überschaubar, was günstige Preise ermöglicht. Mein Exemplar hat beispielsweise keine 15 Euro gekostet, obwohl es sich angeblich um eine „Limited Edition“ handelt. Es wurde im Direct Metal Mastering geschnitten und auf 182g Vinyl gepresst. Im Single Sleeve aus Standardkarton steckt die Schallplatte immerhin in einer gefütterten Innenhülle.
Die Waxtime-Fassung von Portrait In Jazz klingt keineswegs schlecht. Doch im Vergleich zu besseren Pressungen treten ihre kleinen Schwächen gnadenlos zutage. Es fehlt an Wärme und Finesse. Es würde mich nicht wundern, wenn die Waxtime tatsächlich von einer CD geschnitten worden wäre. Zumindest nehme ich an, dass ein CD-Masterfile im Spiel war.
Man hört die Musik, möchte aber nicht darin schwelgen und eintauchen. Dafür gibt es zu viele harte Ecken und Kanten. Die Anschläge des Pianos, die Becken, die Akzente auf der Snare – alles klingt „ganz ok“, wie Teenager sagen, wenn sie das Gegenteil davon meinen. Wenigstens hat Waxtime für die Portrait In Jazz das originale Cover-Foto verwendet.
Den ausführlichen Bericht zu Portrait In Jazz gibt es hier
8. Kind Of Blue – Miles Davis, Waxtime Records


Für Kind Of Blue druckte Waxtime Records leider nicht das originale Foto aufs Cover. Das sorgt gleich für Punktabzug. Wenigstens finden sich auf der Rückseite die originalen Liner Notes von Bill Evans. Ob es sich um das analoge (wahrscheinlich nicht) oder ein digitales Master Master (sehr wahrscheinlich) handelt, verschweigt Waxtime. Stattdessen vermerkt das Cover, dass die Schallplatte im Direct Metal Mastering hergestellt wurde.
Die Aufnahmen von Tonmeister Fred Plaut für Kind Of Blue setzten neue audiophile Standards für die Klangqualität von Jazzplatten. Daher klingt auch die Waxtime zunächst wie eine tolle Aufnahme. Aber nur bis man sie mit einer besseren Pressung vergleicht!
Denn die Instrumente besitzen hier wesentlich weniger Körper. Im Bass lassen sich die einzelnen Töne nur mit Mühe auseinanderhalten. Die tiefsten Töne machen gleichförmig „plopp“.
Die Waxtime klingt, als habe man eine Kopie der dritten oder vierten Generation des Masterbandes verwendet. Da es sich um herausragendes Ausgangsmaterial handelt, tönt auch diese Kopie noch ganz gut. Aber im direkten Vergleich mit besseren Ausgaben geht die Waxtime schneller unter als man „High Fidelity“ sagen kann.
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