Die Electric Recording Company verkauft Schallplatten zu 400 Euro das Stück. Aber wie gut klingen diese kleinen Kunstwerke? Wir haben Bill Evans – Portrait In Jazz mit einer Ausgabe für 15 Euro verglichen.
Über Portrait In Jazz vom Bill Evans Trio
Portrait in Jazz ist das dritte Album von Bill Evans, das unter eigenem Namen erschien. Es wurde am 28. Dezember 1959 in New York aufgenommen und 1960 vom Label Riverside veröffentlicht. Das Album entstand ein halbes Jahr nachdem Bill Evans als Pianist mit Miles Davis das Jahrhundertwerk Kind Of Blue eingespielt hatte und so Musikgeschichte schrieb. Der Pianist Evans nahm Portrait In Jazz erstmals mit seinem legendären Trio aus dem Bassisten Scott LaFaro und dem Drummer Paul Motian auf.
Für sein Album wählte Evans einige gängige Jazz-Standards wie Come Rain Or Shine und Autumn Leaves von Johnny Mercer oder What Is This Thing Called Love von Cole Porter aus. Aber auch seine Eigenkomposition Blue In Green, die schon auf Kind Of Blue zu finden war.


Warum ist Portrait In Jazz von The Electric Recording Company so teuer?
Die Veröffentlichungen von The Electric Recording Company sind kleine Kunstwerke. In der Regel sind sie nur für wenige Minuten direkt im Online-Shop des Labels erhältlich und auch nur dann, wenn man sich zügig entscheidet, 350 britische Pfund (zum Kaufdatum waren das etwa 400 Euro) für eine Schallplatte zu bezahlen, die einige Wochen später geliefert wird. Selbstredend per Vorkasse.
Für den gewaltigen Kaufpreis bekommt der Käufer eine peinlichst genaue Replika der Erstpressung auf Riverside. Beim Cover und dem Druckverfahren angefangen, Vorderseite laminiert, Rückseite matt – alles genau so, wie es auch bei der Erstauflage war. Der Lackschnitt erfolgt vom analogen Masterband. Die gesamte Kette an technischen Geräten, die für die Herstellung der Mutter verwendet wird, ist nicht nur komplett analog, sondern besteht – historisch korrekt – aus Röhrengeräten. Nur 300 Exemplare werden hergestellt, Nachpressungen werden ausdrücklich ausgeschlossen.
Geliefert wird in einem dicken Transportkarton, der auch für 10 LPs ausreichen würde. Darin ist soviel Polsterkarton, dass der Platte auf dem Transport wirklich nichts passieren kann. Die Platte selbst ist in Seidenpapier eingeschlagen und zusätzlich in einer dicken Klarsichthülle geschützt. Historisch korrekt gibt es eine Innenhülle aus dünnem Papier. Zusätzlich wird die 184g schwere LP in einer hochwertigen Innenhülle von Nagaoka aus Reispapier geliefert. Das ist zwar ein Stilbruch, ergibt aber Sinn, wenn man Papierreste und mikroskopische Kratzer vermeiden möchte, die solche Hüllen erzeugen.
Warum ist die Waxtime-Pressung von Portrait In Jazz so billig?
Das spanische Label Waxtime hat bei Sammlern keinen guten Ruf und zudem noch nicht einmal eine eigene Webseite. Audiophile werfen dem Label vor, für seine Vinyl-Reissues in manchen Fällen CDs als Master für die Pressung zu nehmen. Ob das stimmt, können wir nicht beurteilen. Im Katalog finden sich aber viele Werke, für die das Urheberrecht bereits abgelaufen ist. Der Aufwand auf der Seite von Waxtime ist also überschaubar, was günstige Preise ermöglicht. Unser Exemplar hat beispielsweise keine 15 Euro gekostet, obwohl es sich angeblich um eine „Limited Edition“ handelt. Es wurde im Direct Metal Mastering geschnitten und auf 182g Vinyl gepresst. Im Single Sleeve aus Standardkarton steckt die Schallplatte immerhin in einer gefütterten Innenhülle. Beim ersten Auflegen war das Mittelloch noch zu eng, es musste mit einer Schere geweitet werden. Dann war aber alles soweit in Ordnung. Die Pressung ist plan und läuft ohne erkennbare Pressfehler.
Wie ist die Fertigungsqualität der Electric Recording Company-LP?
Beim ersten Auflegen waren wir zunächst geschockt. Denn in lauten Passagen hörten wir deutliche Verzerrungen, die in allen Stücken auf beiden LP-Seiten immer wieder auftraten. Erst nach zweimaligem Waschen per Gläss Ultraschallreiniger verschwanden diese lästigen Pressrückstände. Abgesehen davon erfüllt die Pressqualität die Erwartungen an eine detailgetreue Nachbildung einer Pressung wie vor 60 Jahren. Sie ist zwar leicht wellig, aber korrekt zentriert und weist keine Schlieren auf.
Weitere Alben aus den 50er und 60er Jahren bei Uebervinyl.de
Wie unterscheiden sich die Pegel und Dynamik der beiden Pressungen?

Im Wellenform-Diagramm für Come Rain Or Shine fällt sofort auf, dass die Waxtime wesentlich heißer geschnitten wurde. Der Unterschied ist dabei so gewaltig, dass der Vergleich schwerfällt.

Deshalb haben wir ein zweites Diagramm mit einer normalisierten Darstellung angefertigt. Dabei wird der lauteste Pegel bei beiden Signalen gleichgesetzt und alle anderen Signale proportional dazu vergrößert. Hier lässt sich die Wirkung eines Kompressor/Limiters schön erkennen. Bei der Waxtime erreichen viel mehr Signale das absolute Maximum, bei der Pressung von Electric Recording Company orientiert sich alles am höchsten Ausschlag, der kurz nach 1:00 zu finden ist (roter Pfeil). Alle anderen Pegelspitzen zeigen zwar höhere Ausschläge als im ersten Diagramm, erreichen aber nicht das Maximum. Wie kommt das zustande? Bei der Waxtime wurden einige wenige Pegelspitzen per Limiter abgeschnitten, dadurch lässt sich der ganze Rest etwas höher aussteuern. Die Unterschiede zwischen laut und leise bleiben aber fast alle erhalten – der Dynamikumfang wird also kaum beschnitten.
Im Unterschied dazu gibt die ERC gnadenlos und ohne jede Korrektur genau das Signal wieder was auf dem Masterband zu finden war. Der rot markierte höhere Ausschlag verhindert, dass der Rest des Stücks höher eingepegelt werden kann. Bei der Wiedergabe muss also die Lautstärke etwas hochgedreht werden, was auch die Nebengeräusche verstärkt. Ironie des Schicksals: Hätte man diesen einen Ausschlag mit Augenmaß gezähmt, dann wäre wahrscheinlich keine nennenswerte musikalische Information verloren gegangen. Gleichzeitig wäre es möglich gewesen, den Rest etwas höher zu pegeln und damit einen besseres Verhältnis von Signal to Noise zu erzielen. Insgesamt wäre der Klang dadurch verbessert worden. Aber ERC macht eben keine Kompromisse.

Das Diagramm für Autumn Leaves zeigt im Prinzip dasselbe. Die Waxtime wurde leicht limitiert, die ERC gibt den vollen Dynamikumfang wieder. Allerdings erneut mit geringerem Durchschnittspegel.

Auch in What Is This Thing Called Love setzt sich dasselbe Spiel fort. Beim genauen Hinschauen sehen wir, dass die ERC rund drei Sekunden weniger für das Stück braucht als die Waxtime. Dieses Phänomen tritt so oder so ähnlich bei allen Stücken auf Seite zwei auf. Vermutlich ließ der Tonmeister das Masterband beim Schneiden einen Tick schneller laufen. Dieser Trick wird häufig angewandt. In manchen Fällen haben die Toningenieure solche Schneideanweisungen auf der Hülle des Masterbandes notiert. Welches Tempo das richtige ist, – das langsamere oder das schnellere – konnten wir leider nicht feststellen.
Wie unterscheiden sich die die Frequenzspektren der beiden Pressungen?

Der niedrigere Durchschnittspegel der Electric Recording Company bildet sich auch im Frequenz-Spektrogramm für Come Rain Or Shine ab. Oder andersrum: Die Waxtime ist in allen Frequenzbereichen lauter. Der wichtigste Unterschied zeigt sich aber ab ungefähr der Mitte des Stücks. Hier sind bei der ERC oberhalb von etwa 11.000 Hertz keinerlei Ausschläge mehr zu erkennen, während die Waxtime noch bis ungefähr 15.000 Hertz hinauf spielt.

In Autumn Leaves zeigen sich die Unterschiede erneut ungefähr im mittleren Drittel des Stücks. Wieder zeigt die Waxtime größere Ausschläge oberhalb von 11.000 Hertz. In diesem Fall kann die ERC jedoch noch etwas besser mithalten und bringt ganz leichte Strukturen zum Vorschein.

Noch geringer fallen die Unterschiede in What Is This Thing Called Love? aus. Obwohl der Pegelunterschied auch in diesem Stück enorm ist, zeigen sich im Spektrogramm ungefähr dieselben Strukturen. Hier fallen einige „Bänder“ oder „Streifen“ im Spektrogramm auf, die hier noch stärker herausstechen, als in den vorigen Spektrogrammen, die im Prinzip aber bei beiden Pressungen gleich verlaufen.

In Spektrogrammen mit linearer Skalierung lassen sich besonders gut Differenzen in den mittleren und hohen Frequenzbereichen erkennen. Spektrogramme mit logarithmischer Skala fördern die Unterschiede in den Bässen und unteren Mitten zu Tage, die in der linearen Skala kaum zu sehen sind. Das Gesamtbild für Autumn Leaves beider Pressungen stimmt weitgehend überein. Bei der Waxtime fallen ein paar violette Flecken im Bereich zwischen 200 und 1000 Hertz auf. Diese Frequenzbereiche werden also besonders betont. Abgesehen davon kann man wohl über alle Spektrogramme sagen: Die Unterschiede in den visualisierten Frequenzspektren beider Pressungen sind nicht sehr groß.
Wie unterscheidet sich die Loudness der beiden Pressungen?


Für die Messung der Lautheit oder Loudness verwenden wir mit dem Youlean Loudness Meter ein Tool, das auch viele Tonstudios zu diesem Zweck einsetzen. Das Ergebnis für die Seite 1 der Waxtime lag bei -22,6 LUFS integrated (Loudness Units relative to Full Scale), die Electric Recording Company brachte es auf -28,8 LUFS integrated. Das bedeutet, dass beide Pressungen keinerlei Probleme mit übertriebener Lautheit haben. Da die ERC aber keinerlei Dynamikkorrektur erfahren hat und sehr leise ausgepegelt wurde, spielt sie um etwa 6,2 dB weniger laut.


Für Seite 2 haben wir -23,8 LUFS integrated (Waxtime) und -28,3 (ERC) gemessen. Die Waxtime ist also etwas weniger laut, die ERC etwas lauter als auf Seite 1. Aber immer noch sind beide Werte sehr weit weg von problematischen Bereichen, die im Jazz frühestens bei Werten unter -20 LUFS beginnen.
Wie gut klingt die Waxtime-Pressung von Portrait In Jazz – Bill Evans Trio?
Die Waxtime-Fassung von Portrait In Jazz klingt keineswegs schlecht. Doch die ERC zeigt ihre kleinen Schwächen im direkten Vergleich gnadenlos auf. Es fehlt an Wärme und Finesse. Es würde uns nicht wundern, wenn die Waxtime tatsächlich von einer CD geschnitten worden wäre. Zumindest glauben wir, dass ein CD-Masterfile im Spiel war.
Die Anschläge des Pianos, die Becken, die Akzente auf der Snare – alles klingt „ganz ok“, wie Teenager sagen, wenn sie das Gegenteil davon meinen. Man hört die Musik, möchte aber nicht darin schwelgen und eintauchen. Dafür gibt es zu viele harte Ecken und Kanten.
Wie gut klingt die Electric Recording Company-Pressung von Portrait In Jazz?
Der Preisunterschied mag riesengroß sein, die Klangunterschiede liegen eher im Detail. Der Electric Recording Company gelingt beispielsweise die klangliche Abbildung des Schlagzeugs besser. Die Trommeln klingen „runder“, die Becken weniger harsch. Auch das Piano differenziert die Töne etwas realer und lässt gar keine Härte aufkommen. Echten Bass darf man bei Aufnahmen vom Ende der 50er Jahre nicht erwarten. Und folgerichtig wird auch bei Portrait in Jazz eher der Grundton als der Bass betont. Alles andere lässt sich nur schwer in Worten ausdrücken. Vielleicht so: Die ERC klingt „feiner“, „wärmer“ und „echter“. Eben so, wie es sich Analog-Fans von analogen Tonträgern wünschen.
Der Abstand von Musik zu Nebengeräuschen wird zum Thema bei so geringen Pegeln, wie sie die ERC aufweist. Vor allem auf der Seite 2, wo sich mehr Knackser und Laufgeräusche finden als auf der ersten Seite. Doch nach der zweiten Ultraschall-Wäsche ließ sich auch mit der Rückseite gut leben.
Die Version von der Electric Recording Company hört man stets im Bewusstsein, dass sie etwas Besonderes ist. Deshalb besteht immer die Gefahr des Selbstbetrugs. Man möchte schließlich, dass sie besser klingt. Rechtfertigt das den Preisunterschied um Faktor 26,6? Die ERC klingt bestimmt nicht 26 mal besser. Wer also nur die Musik in hervorragender Qualität hören möchte, ist hier fehl am Platz und findet bestimmt eine gleich gute Alternative. Wer jedoch das Besondere liebt, über die notwendigen Mittel verfügt und das Gesamtpaket aus geringer Auflage, aufwendigstem Herstellungsprozess und klanglicher Qualität zu schätzen weiß, der liegt mit der Portrait In Jazz von der Electric Recording Company goldrichtig.
Titelliste
Side 1
- Come Rain Or Shine
- Autumn Leaves
- Witchcraft
- When I Fall In Love
- Peri’s Scope
Side 2
- What Is This Thing Called Love?
- Spring Is Here
- Someday My Prince Will Come
- Blue In Green










Interpret | Bill Evans Trio | |
Titel | Portrait In Jazz | |
Label | Waxtime | The Electric Recording Company |
Katalognummer | 771687 | ERC052S |
Veröffentlicht | 2010 | 2021 |
Format | 12“ | 12“ |
Umdrehungen/Minute | 33 1/3 | 33 1/3 |
Cover | Single Sleeve | Single Sleeve |
Beigaben | – | OBI, Zertifikat |
Lackschnitt | k.A. | C. J. Potter & G.D. Davie |
Presswerk | k.A. | k.A. |
Matrix-Runout | 118257E1/H 771687 118257E2/K 771687 | ERC052S-A-6 28192 1A ERC052S-B-6 28192 1B |
Auflage/Limitierung | – | 300 |
Fortlaufende Nummer | – | 274 |
Herstellungsland | Spanien | UK |
Earlier I thought differently, thanks for an explanation.
I’m sorry, I don’t quite understand what I can do for you. What explanation would be helpful?