Das dritte Album von Peter Gabriel gibt es nicht nur auf deutsch und englisch, sondern auch als Reissue mit 45 RPM. Wir haben die beiden verglichen und viel mehr Unterschiede gefunden, als erwartet.


Ein paar Gedanken zu Peter Gabriel – III (Melt)
Das dritte Soloalbum von Peter Gabriel hieß offiziell nur Peter Gabriel. Da aber auch schon die beiden vorigen Alben denselben Namen trugen, und auch das folgende, vierte Album wieder diesen Titel bekam, werden die Scheiben in Fankreisen entweder durchnummeriert (dann wäre dieses Album „III“) oder aber nach dem Covermotiv beschrieben (in diesem Fall also „Melt“, weil Gabriels Gesicht auf dem Covermotiv von Hipgnosis zu schmelzen scheint).
So oder so – auf Gabriels drittem Album gab es viele erste Male. Zum Beispiel war der charakteristische Drumsound der 80er erstmals auf diesem Album zu hören. Gleich beim ersten Track Intruder und gleich von Anfang an: Wahnsinnig fette Schläge mit „Gated Reverb“ also Hall, bei dem die lange Hallfahne abgeschnitten wird. Genau wie beim berühmtesten Drumwirbel der Welt für In The Air Tonight von Phil Collins. Aber das war ein Jahr später.
Aber bis es dazu kam, mussten unabhängig voneinander einige Dinge passieren.
Hugh Padgham, ganz frisch als Tontechniker im neu gegründeten Townhouse Studio beschäftigt, hatte gerade ein Mischpult der damals jungen, aufstrebenden UK-Company SSL gekauft. Die Besonderheit: Zum ersten Mal gab es hier für jeden Kanal einen eigenen Kompressor und ein eigenes Noise Gate. Endlich musste der Aufnahmetechniker nicht mehr mit den vorhandenen Kompressoren und Gates haushalten.
Zusätzlich hatte das Pult eine fest installierte Gegensprechanlage, das die Kommunikation zwischen Musikern und Tontechnikern vereinfachen sollte. Dazu hatte dieser Kanal einen extra groß dimensionierten Kompressor an Bord und irgendwo im Aufnahmeraum hing ein Mikro – zufälligerweise in der Nähe des Schlagzeugs. Es diente zwischen den Aufnahmen für Gespräche zwischen Studioraum und Regie. An Drumsounds hatte niemand gedacht, als das Pult entwickelt wurde. Jetzt kam der Zufall zur Hilfe. Versehentlich blieb das Talkback-Mikro an und fing so den Raumklang des Schlagzeugs ein. Und wie! Plötzlich war er da, der megafette Sound, der klang wie kein Schlagzeug zuvor. Besonders gut zu hören, weil Peter Gabriel für das ganze Album den Drummern eine Beschränkung auferlegt hatte: Keine Hihats, keine Becken.
An den Drums saß Peter Gabriels Kumpel Phil Collins, man kannte sich aus der gemeinsamen Zeit bei Genesis. Bei drei Stücken des Albums ist Collins am Schlagzeug zu hören: Intruder, No Self-Control und Biko. Vor allem die ersten beiden Songs nutzen den neu erfundenen Ballersound, den Phil Collins anschließend zum Sound der 80er machte. Am Mischpult bei Collins‘ erstem Soloalbum Face Value mit In The Air Tonight saß übrigens erneut Hugh Padgham, aber das ist eine andere Geschichte.
Peter Gabriel versammelte für das Album neben seinen langjährigen Mitstreitern wie Larry Fast (Synthesizers), Jerry Marotta (Schlagzeug) oder David Rhodes (Gitarre) auch einige bekannte und teilweise überraschende Gäste. Robert Fripp hatte das Vorgängeralbum Peter Gabriel II produziert. Doch die Gitarristen Paul Weller (The Jam) oder Dave Gregory (XTC) gaben hier erstmals ihr Stelldichein, auch Kate Bush sang auf Games Without Frontiers zum ersten Mal für Peter Gabriel. Nicht zum letzten Mal. Einige Jahre später landeten die beiden mit Don’t give up einen Welthit.
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Wie sind die beiden Versionen von Peter Gabriel – III ausgestattet?
Ursprünglich erschien Peter Gabriel – III als einfaches Album in einer Single Sleeve mit einer gestalteten Innenhülle und den Songtexten.
Für die Neuauflage wurde das Album auf zwei LPs mit 45 Umdrehungen pro Minute verteilt. Beide 45er wurden im Half Speed Mastering gemastert und auf 180g Vinyl gepresst. Das Doppelalbum steck in einem Gatefold Cover, auf dessen Innenseiten wurden die Motive der originalen Innenhülle abgedruckt. Zusätzlich liegt ein Gutschein bei für den Album-Download in Standard-CD-Auflösung mit 16Bit/44.1 KHz oder in High Resolution mit 24 Bit/192KHz Auflösung.
Was fällt sonst noch auf an der Erstpressung und dem deutschen Album?
Erstmals gab es eine deutschsprachige Version des Albums, genannt Ein deutsches Album. Peter Gabriel hatte bei den Auslandstöchtern der Plattenfirma nachfragen lassen, ob jemand Lust darauf hätte, eine Version in der Landessprache herauszubringen. Nur die Deutschen meldeten sich. Für die Übersetzungen und Nachdichtungen der Songtexte fanden sie Horst Königstein, der schon Texte für Udo Lindenberg geschrieben hatte. Die Texte versuchen, den Spirit der Texte von Gabriel einzufangen, ohne hölzern zu übersetzen. Ob das gelungen ist, muss jeder für sich entscheiden. Wir sind da hin und hergerissen. Die Texte sind sicherlich gut getroffen. Aber Gabriel klingt beim Singen einfach etwas angestrengter als auf englisch.
Wie gut klingen die Pressungen mit 33 RPM und 45 RPM von Peter Gabriel – III?
Die Neuausgabe ist deutlich lauter und stärker komprimiert als die Erstpressung. Dadurch wirkt diese 45er auf den ersten Blick druckvoller. Mit angeglichenem Pegel nivelliert sich dieser Eindruck. Die klanglichen Unterschiede sind da, spielen aber eigentlich eine kleinere Rolle als die Differenzen zwischen beiden Produktionen. Denn wer glaubt, dass beim „deutschen Album“ nur die Gesangsspuren neu aufgenommen wurden, kennt den Perfektionisten Peter Gabriel schlecht. Er nutzte die zweite Chance, um erneut an der Produktion zu feilen. So bekam beispielsweise das Pfeifen am Ende von Intruder bei der deutschen Variante mehr Hall und das Outro dauert knapp acht Sekunden länger. Wie insgesamt die Laufzeiten vieler Titel auf den beiden Pressungen variieren, doch dazu später mehr. Auch das Saxophon in Start steht auf der 45er weiter vorne und bekam eine lautere Hallfahne.
Generell wurde die deutsche Gesangsspur stärker in den Vordergrund gemischt – möglicherweise, um die Verständlichkeit zu erhöhen – und hat auch klanglich einen etwas blechernen Charakter. Das mag zu Teilen am härteren Sound der deutschen Sprache liegen, hier hat aber der Equalizer am Mischpult mehr dazu beigetragen.
Durchgängig fällt schon im Hörtest auf, dass bei der 45er Neuauflage keineswegs der größere Dynamikumfang der höheren Umdrehungszahl genutzt wurde, sondern es ist einfach alles lauter. So wird etwa die langsame Steigerung in Family Snapshot fast nicht mehr wahrnehmbar, der Höhepunkt im Pegel ist bei der 45er längst erreicht, wenn die 33er noch einige Takte lang die Dramatik steigert.
And Through The Wire wurde für die 33er Version einen Tick schneller abgespielt als die 45er Variante. Da es sich um ein analog produziertes Album handelt, wird das gesamte Stück um circa einen Viertelton nach oben transponiert. Die 45er ist dagegen in der korrekten Stimmung. Obwohl langsamer abgespielt, ist die 45er dennoch um 30 Sekunden früher fertig, weil der Schlussrefrain gekürzt wurde.
Biko beginnt bei beiden Versionen zwar mit afrikanischem Chorgesang. Doch auf der englischen Version von 1980 hören wir ein anderes Lied als auf dem deutschen Album, bevor es dann mit dem eigentlichen Stück losgeht.
Wie unterscheiden sich Pegel und Frequenzgang der Erstpressung un der Neuauflage von Peter Gabriel – III?

Unsere Diagramme bestätigen den Höreindruck: Die Neuauflage von Peter Gabriel – III wurde wesentlich stärker komprimiert. Im Wellenform-Diagramm von I Don’t Remember (linke Pfeile) lassen sich nach dem leisen Intro bei der 45er (unten) kaum noch Lautstärkeunterschiede ausmachen, während die Erstausgabe (oben) buchstäblich ein durchsichtigeres Bild zeigt. Noch krasser wurden die Dynamikunterschiede in Family Snapshot wegkomprimiert. Wo das Original sich vom Start weg langsam auf den Höhenpunkt zubewegt, haben einige Pegel der deutschen Version längst den Anschlag erreicht.

Auffallend übers gesamte Album sind Laufzeitunterschiede zwischen dem englischen und dem deutschen Album. Von allen Titeln hat nur Family Snapshot in beiden Versionen die identische Laufzeit. Mal läuft die englische Version länger, mal die deutsche. Im Diagramm sehen wir die drei Titel auf der Seite drei des Doppelalbums hintereinander weg. Zur besseren Vergleichbarkeit haben wir die Titel beider Versionen so angeordnet, dass sie stets zum gleichen Zeitpunkt beginnen. Die Unterschiede zeigen sich also immer am Ende des Songs.
Der Track 1 And Through The Wire dauert auf dem englischen Album stolze 28 Sekunden länger (obwohl das Masterband beim Lackschnitt einen Tick schneller lief) . Games Without Frontiers braucht dagegen beim deutschen Album auf 45 RPM rund 8 Sekunden mehr. Not One Of Us ist wiederum in der englischen Fassung um 21 Sekunden länger als auf deutsch.

Auch I Don’t Remember und Lead A Normal Life bekamen für die 45er-Neuauflage von Caroline Records einige Sekunden Laufzeit extra spendiert. Doch den Vogel schießt der letzte Track beider Alben Biko (zwischen den gestrichelten Linien) ab. Hier wurde für da deutsche Album nicht nur ein anderes Intro verwendet, der Song dauert auch geschlagene 1:30 Minuten länger als in der englischen Fassung.
Über die Gründe für die Unterschiede können wir nur spekulieren. Höchstwahrscheinlich spielen hier CD-Masterfiles eine Rolle, welche die längere Laufzeit einer CD (oder eines Doppelalbums mit 45 RPM) ausnutzen. Im Gegensatz dazu gibt es Titel wie And Through The Wire, wo beim Original schon am Geschwindigkeitsregler der Mastermaschine gedreht wurde, um mehr Drive zu kreieren. Im analogen Masterprozess ist dies in erhöhter Tonhöhe zu bemerken. Beim digitalen Mastering lassen sich höhere Abspielgeschwindigkeiten auch ohne Tonhöhenveränderung realisiseren.
Welche Pressung von Peter Gabriel – III (Melt) ist besser?
Bevor man die Klangeigenschafte der beiden Pressungen bewertet, sollte man sich vor Augen führen, was Peter Gabriel und Hugh Padgham erreichen wollten. Wenn audiophile Produktionen höchste Wiedergabetreue anstreben, so wollten die beiden hier Klänge schaffen, die nie zuvor gehört wurden. Die Verfremdung im Tonstudio war hier ein künstlerisches Stilmittel.
1980 klang das Album wie nichts zuvor. Der Klang beider Produktionen beeindruckt auch heute noch – nach inzwischen 40 Jahren. Hätte Hugh Padgham damals noch mehr komprimiert, wenn er nur die Möglichkeit dazu gehabt hätte? Schwer zu sagen. Aber keinesfalls auszuschließen. Dennoch wirkt die Neuauflage heute überkomprimiert. Sie ist lauter und direkter aber dafür geht die Finesse des Originals verloren. Wir bevorzugen hier das Original.
Titelliste
Side 1
- Intruder (Eindringling)
- No Self-Control (Keine Selbstkontrolle)
- I Don’t Remember (Frag Mich nicht Immer)
- Family Snapshot (Schnappschuss)
- And Through The Wire (Und durch den Draht)
Side 2
- Games Without Frontiers (Spiel ohne Grenzen)
- No One Of Us (Du bist nicht wie wir)
- Lead A Normal Life (Ein normales Leben)
- Biko














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